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Haushaltsdebatte 2023: Redebeitrag – Ausschuss IV

Plenum des PDG vom 13. Dezember 2023

Tag 3 – Redebeitrag von Karl-Heinz Lambertz, Abgeordneter der SP-Fraktion, zur Haushaltsdebatte vom 13/12/2023
Ausschuss IV – Gesundheit und Soziales

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen aus Parlament und Regierung,

Die Sozialpolitik gehört seit vielen Jahren zu den prioritären Bestandteilen unserer Gemeinschaftsautonomie und sie ist durch die Kompetenzerweiterungen der letzten Jahre auch noch in ihrer Bedeutung erheblich angewachsen. Das kommt auch in unserem Haushalt zum Ausdruck. Wenn man sich die Redner der Opposition anhört, ohne jetzt auf das Gefasel zum Thema Corona einzugehen, könnte man den Eindruck gewinnen, dass wir hier vor einem sozialpolitischen Kollaps stünden, dass sozusagen morgen ganz Ostbelgien zusammenbricht und wir sozusagen den Notstand ausrufen müssen. Das ist alles maßlos übertrieben. Natürlich gibt es vieles, das man besser machen kann.

Nehmen wir die Zahlen, wir geben an laufenden Ausgaben im kommenden Jahr 151,5 Millionen Euro für die sozialen Aufgaben aus. Das ist nach der Bildung mit ihren 187 Millionen Euro der zweitgrößte Ausgabenbereich. Zusammen machen Bildung und Soziales übrigens 72,5% der laufenden Ausgaben unseres Haushaltes aus und allein das straft schon alle Lügen, die behaupten, hier würden nicht die richtigen Prioritäten gesetzt.

Im sozialen Bereich decken wir ein sehr breites Spektrum an Dienstleistungen ab. Genau wie ich das für die Raumordnung, den Wohnungsbau und die Energieprämien gesagt habe, als ich darauf hinwies, dass da jährlich über 1000 Aktenstücke ganz konkret behandelt werden, so kann man im Sozialbereich von mehreren 1000 Aktenstücken in den einzelnen Bereichen sprechen, die von der Dienststelle über die Kinderzulage bis zum Pflegegeld und vieles andere bearbeitet werden. Diese Arbeit findet ohne Klamauk tagtäglich statt und hilft vielen Menschen bei der Bewältigung ihrer Probleme und die Regierung sorgt dafür, dass das alles vernünftig funktionieren kann. Und da ist die Regierung nicht alleine. Es kommt gerade im sozialen Bereich ganz entscheidend auf die Zusammenarbeit, etwa mit der lokalen Ebene und dem ÖSHZ, an. Gerade im sozialen Bereich wäre das Aufrechterhalten der Dienstleistungen ohne den gewaltigen ehrenamtlichen Einsatz, den es hierzulande gibt, nicht denkbar.

Außerdem haben wir ganz konkrete und keineswegs unproblematische Schnittmengen mit den föderalen Zuständigkeiten. Da ist zu hoffen, dass sich da in den nächsten Monaten und Jahren einiges klärt, egal in welche Richtung man die Verantwortungen überträgt. Wichtig ist, dass sie mehr in eine Hand kommen. Es gib auch einen großen Koordinationsbedarf zwischen dem sozialen Bereich und anderen Bereichen, wie etwa die Bildung und die Beschäftigung. Das gehört alles zusammen. Und deshalb ist es sehr wichtig, dass wir in unserer Regionalplanung, genau wie wir das im aktuell noch gültigem REK gemacht haben, auch im regionalen Entwicklungskonzept Ostbelgien 2040 klare Richtlinien für die weitere Entwicklung der sozialen Dienstleistungen der DG festlegen. Da haben wir es mit gewaltigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu tun.

Wir können uns so anstrengen, wie wir wollen, auf absehbare Zeit werden wir die Probleme nicht wegarbeiten können. Dafür sind die Trends viel zu gewaltig.

Wir leben in Zeiten einer zunehmenden Prekarisierung der Gesellschaft: Die Armut steigt an, auch in reichen Staaten. Es ist ein Skandal, dass in der Europäischen Union etwa ein Viertel der Bevölkerung unter oder am Rande der Armutsgrenze lebt.

Wir haben Entsolidarisierungseffekte noch und nöcher. Wir haben einen demografischen Wandel, der fundamentale Veränderungen mit sich bringt und im sozialen Sektor sogar doppelt wirkt. Es gibt einen immer größeren Bedarf, weil die Menschen altern und damit pflegebedürftiger werden und gleichzeitig haben wir den Rückgang der aktiven Bevölkerung, bei den jungen Menschen, der dazu führt, dass wir einfach weniger Personen auf dem Arbeitsmarkt vorfinden können. Deshalb ist der Fachkräftemangel, der Arbeitskräftemangel, in diesem Bereich etwas ganz Fundamentales und auch sehr Tückisches.

Zu behaupten, das ginge ohne gezielte Einwanderung, ist eine völlige Verkennung der Realitäten. Warum wird überall, in allen europäischen Staaten, verzweifelt auch außerhalb der Staatsgrenzen nach Fachkräften gesucht? Und wir sollten die einzigen sein, die das nicht tun, weil wir hier sozusagen die Menschen dazu bewegen könnten oder wir müssten sie sozusagen schon dazu hin prügeln, dass sie alle die Pflegeberufe ergreifen, die wir nötig haben? Das ist absoluter Unfug und völlig unrealistisch. Wir brauchen eine gezielte Einwanderung, aber wir brauchen vor allem einen Mix an Maßnahmen. Da gibt es keine Maßnahme, die alleine alles regelt, da muss eine Vielzahl von untereinander abgestimmten Dingen geschehen. Gerade in einer Grenzregion wie der unseren, da sind alle Schritte, die gemacht werden, gut, aber da müssen wir auch wissen, dass wir da so gut sein können, wie wir wollen; gelöst werden wir das Problem definitiv auf absehbarer Zeit nicht kriegen. Da wird es weiter Spannungen geben, da werden große Anstrengungen nötig sein.

Der soziale Bereich umfasst eine Vielzahl von Themen, die aber alle sehr eng miteinander verwoben sind. Die Familienpolitik, übrigens auch die Kleinkindbetreuung, die morgen besprochen wird, hängt da sehr eng zusammen mit dem, was wir für Senioren und für Menschen mit Unterstützungsbedarf tun können. Die Einrichtungen müssen aufeinander abgestimmt, die Betreuungen koordiniert und es muss noch mehr zusammengearbeitet werden, als dies bisher geschieht.

Wir haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, wir haben Gesetzgebungen wie das Pflegegeld erneuert bzw. angepasst und bedeutende Verbesserungen dabei erzielt.

Jetzt kann man sich die Frage stellen, muss man das nicht noch weiterentwickeln, wie geht man da mit der Kritik, die hier erhoben wurde, um. Aber man muss natürlich auch wissen, dass es nicht das Pflegegeld sein kann, das alle Probleme, die mit einkommensschwachen Situationen zu tun haben, lösen kann. Wir brauchen vor allem auch die Koordination mit föderalen Maßnahmen und so ist vor allem im sozialen Bereich von großer Bedeutung, dass es endlich dazu kommt, dass man das Statut der Zusammenlebenden abschafft und dafür sorgt, dass Beihilfen individuell, unabhängig davon, ob man jetzt zusammenlebt oder alleinstehend ist, erteilt werden. Das wird vom gesamten sozialen Sektor in Belgien gefordert und vielleicht wird es auch dann irgendwann mal föderal durchsetzbar sein.

Wir brauchen vor allem auch ein neues Zusammenspiel zwischen der häuslichen Versorgung, den Diensten vor Ort bis hin zu den 24-Stunden Diensten, den live-in Angeboten, die in gewaltigen Ausmaßen auch in Ostbelgien bestehen. Wenn wir nicht diese Kräfte hätten, würde die Fürsorge für ältere Menschen in Ostbelgien zusammenbrechen. Ich kenne kleinere Dörfer hier, wo dutzende Personen so tätig sind. Damit müssen wir uns auch beschäftigen, auch wenn das ein sehr heikles und komplexes Thema ist. Inspirieren können wir uns da zum Beispiel an dem, was man in gewissen östlichen Bundesländern in Österreich gemacht hat.

Wir brauchen ein neues Zusammenspiel zwischen Einrichtungen und diesen häuslichen Diensten, und wir brauchen auch zusätzliche Stellen in den einzelnen Einrichtungen. Das ist natürlich sehr bedauerlich, dass wir Wartelisten haben, aber auch da sind wir nicht die einzigen. Man sollte sich mal anschauen, wie die Wartelistenproblematik in Flandern ist, dann leben wir hier noch in einem Eldorado. Aber wir haben diese Wartelisten und wir müssen Wege finden, sie abzubauen. Das ist nicht so einfach und das muss vor allem mittel- und langfristig richtig geplant werden, damit man es auch in den Griff bekommt.

Wir brauchen ebenfalls noch weitere Koordination im Bereich der Jugendhilfe und des Jugendschutzes, den wir ja neu übernommen haben, darüber haben wir ja vor kurzem geredet. Und ich sehe auch noch interessante Synergien möglich zwischen diesem Bereich Jugendschutz und Jugendhilfe einerseits und andererseits der sehr interessanten und wichtigen Arbeit, die von dem Justizhaus geleistet wird. All das muss angepasst an die neuen Herausforderungen herangeführt werden und wir müssen dafür sorgen, dass wir möglichst gute Möglichkeiten hier haben, ausgehend von dem, was schon da ist und ohne das, was besteht, durch zu viel Aktivismus an der falschen Stelle in Frage zu stellen oder zu zerstören.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die Solidarwirtschaft. Wir sind ja gerade dabei, ein Dekret zu verabschieden, über da wir sehr intensiv mit dem Sektor diskutiert haben und mittlerweile hat sich diese Solidarwirtschaft auch in Ostbelgien zu einem interessanten Wirtschaftszweig entwickelt, der seine eigenen Gesetzmäßigkeiten hat, wo die Maximierung des Profites oder der Shareholdervalue nicht im Mittelpunkt steht, sondern die Beschäftigung der Leute und die Erbringung der Dienstleistungen. Da gibt es aber auch noch Lücken, die wir auffüllen müssen. Aber durch die Art und Weise, wie wir diese Dienste, die spontan entstanden sind in den letzten Jahren, auch koordiniert haben und sie zur Zusammenarbeit gebracht haben, sind gute Voraussetzungen entstanden, um auch da weiter die Landschaft zu verbessern.

Eine gewaltige Arbeit wird bei der Dienststelle für Selbstbestimmtes Leben geleistet, für Menschen mit Beeinträchtigungen, auch in dem exponentiell wachsenden Bereich der Bedürfnisse für Senioren, wo die Dienststelle eine ganz entscheidende Rolle spielt. Es ist auch interessant, darauf hinzuweisen, dass die Dienststelle ebenfalls Verantwortung für die pflegenden Angehörigen hat. Das ist ein Bereich, den wir sicherlich noch vertiefen und weiter festigen müssen, denn auch er spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Versorgung hierzulande.

Als letztes Netz bleibt die Sozialhilfe. Da wird übrigens sehr unterschiedlich in den einzelnen Gemeinden an Problemen gearbeitet. Unterschiedlich deshalb, weil die Situation sehr verschieden ist, das ÖSHZ in Büllingen ist nur schwer vergleichbar mit dem in Kelmis, um mal zwei zu nehmen, die territorial an den Extremitäten unserer kleinen Gemeinschaft liegen. Aber das muss man alles aufgreifen und entsprechend auch dann in unsere Strategie in unserem letzten Netz integrieren.
Und wichtig ist, dass es da die richtigen Querverbindungen gibt, etwa bei dem Zielpublikum Langzeitarbeitslose, Empfänger von Eingliederungseinkommen und Langzeitkranke. Da gibt es auch hierzulande eine ganze Menge zu tun. Das ist keine einfache Arbeit, ich habe es noch bei der letzten Debatte hier gesagt, da ist es manchmal schon wirklich mehr als menschenverachtend, wie hier Bemerkungen zu den Langzeitarbeitslosen gemacht werden, ein sehr schwieriges Thema, ein sehr komplexes Thema und wo wir die Arbeit, die das Arbeitsamt und andere Dienste, die mit ihm eng zusammenarbeiten nicht laut genug loben können. Das ist das, was wir hier weiterentwickeln und auch mit der Erkenntnis, dass man da Zeit braucht, intensivieren muss. Es kommt da auf sehr zielgruppengerechte Arbeit an und das hat auch viel mit der Arbeit der ÖSHZ zu tun.

Ein ganz wichtiger Bereich ist der der Gesundheit. Man kann ohne Gefahr sich zu irren behaupten, dass es ohne die Existenz der DG sicher keine zwei Krankenhäuser mehr in Ostbelgien gebe. Und wenn wir die beiden Krankenhausstandorte langfristig absichern wollen, dann müssen wir noch eine ganze Menge an Dingen verändern. Sowohl und zuallererst in den Krankenhäusern, wo die Kommunen eine prioritäre Verantwortung haben, aber auch in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft, die natürlich sehr schlecht handeln kann, weil sie nicht die juristische Verantwortung für das Wesentliche hat. Aber der Minister hat es mehrmals gesagt, die Regierung ist bereit, gewillt und in der Lage, da was zu tun, indem sie mit in die Trägerschaft einsteigt und dafür sorgt, dass es eine Anpassung der Strukturen an die Herausforderungen des Gesundheitswesens jetzt zu Mitte des dritten Jahrzehntes des 21. Jahrhunderts gibt. Und auch da können wir uns von dem, was anderswo geschieht, inspirieren lassen. Ganz wichtig ist aber eine neue Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern und der ersten Linie der ärztlichen Versorgung, für die wir laut Staatsreform eine gewisse Verantwortung mittragen. Genauso wichtig ist es, dass die Zusammenarbeit mit den größeren Fachkliniken auf Augenhöhe geschieht und möglich wird im Netzwerk, aber auch darüber hinaus, innerbelgisch und im benachbarten Ausland. Es ist vor allem wichtig, dass man dafür sorgt, dass bei der Neupositionierung der Krankenhäuser auch gewisse Zöpfe abgeschnitten werden. Auch unsere Krankenhäuser sind defizitär und ein Grund dafür hat sehr viel damit zu tun, wie die Einnahmen zwischen Krankenhaus und Fachärzten verteilt sind. Ein Thema, das viele als ein Tabuthema ansehen, es ist auch ein delikates Thema, es gehört mit zu den Voraussetzungen, dass wir Ärzte überhaupt hierhin bekommen, aber da muss ganz offen und ehrlich und redlich drüber kommuniziert werden und da muss dafür gesorgt werden, dass man den Ast, auf dem man sitzt, nicht absägt, denn ohne funktionierende Krankenhäuser ist das jetzt hier praktizierte Modell bei den Fachärzten auch nicht überlebensfähig. Es bleibt die Hoffnung, dass das vor einigen Jahren schon mal initiierte aber leider nicht zu Zuge gekommene Projekt Gesundes Ostbelgien sich verwirklichen lässt. Da könnten wir maßgeschneidert auf die DG eine Gesundheitsversorgung, die unseren Bedürfnissen angepasst ist, aufbauen und dafür sorgen, dass alle Akteure da intensiv und gut kooperieren.

Ich komme zum Schluss.

Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Mittel für die Sozialpolitik gewaltig angehoben. Wenn man sich die Zahlen anschaut und die Entwicklungen, dann kann das schon fast etwas schwindelig machen. Wir haben sehr viel mehr Geld in die Sozialpolitik gesteckt, aber wir wissen und müssen feststellen, dass wir damit nicht alle Probleme gelöst bekommen und dass es immer neue Herausforderungen gibt. Da ist Veränderung und Aufrechterhalten des bestehenden Angebotes gar nicht so leicht immer richtig auf die Reihe zu kriegen.

Die Regierung und die Akteure in den einzelnen Bereichen haben das jedoch ganz redlich geschafft. Nein, da haben wir es nicht mit einer gescheiterten Politik zu tun, sondern mit vielen Erfolgen, aber auch großen Herausforderungen. Vor allem hat die Regierung bewiesen, dass sie handlungsfähig und bereit ist, ohne zu allen Problemen immer aus der Hüfte heraus Schnellschüsse loszulassen.

Sie hat konkrete Angebote gemacht, sie arbeitet an Konzepten, sie hat auch gerade im Bereich des Pflegepersonals wichtige Weichen gestellt und das ist das, was auch für die Zukunft weiterhin geschehen muss.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.