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Fehlende Wohnangebote für mehrfach beeinträchtigte Menschen über 21 Jahren

Mündliche Frage von Herrn Charles Servaty an Minister Antonios Antoniadis

Zu fehlenden Wohnangeboten für mehrfach beeinträchtigte Menschen über 21 Jahren

In einem am vergangenen Samstag im GrenzEcho erschienenen Artikel wird die ganz besondere und nicht minder sorgenvolle Lage beschrieben, in der sich in der Deutschsprachigen Gemeinschaft junge mehrfach beeinträchtigte Menschen und ihre Angehörigen mitunter wiederfinden. Dies liegt daran, dass deren Lebens- und Betreuungssituation mit dem Erreichen des 21. Lebensjahres tiefgreifende Veränderungen erfährt.

Diese Änderungen können zunächst allgemeiner, juristischer oder auch eher verwaltungstechnischer Art sein. Regelmäßig beziehen sie sich aber auch auf die konkrete Versorgungs- und Betreuungssituation der betreffenden Menschen; wobei letztere mitunter entscheidend von deren Wohnsituation abhängen.

Demnach fehlt es an ausreichend geeigneten Einrichtungen bzw. an Betreuungsplätzen und Angeboten. Dies ist dem Vernehmen nach nicht zuletzt auf die vielen unterschiedlichen Formen der Beeinträchtigung zurückzuführen, die bei der einen oder anderen betroffenen Person anzutreffen sind. Was wiederum direkten Einfluss nimmt auf deren Betreuungsbedarf sowie auf die erforderlichen personellen Ressourcen.

In dieser Analyse stimmen sowohl die in der DG zuständigen Stellen, darunter die Dienststelle für selbstbestimmtes Leben, als auch die Angehörigen überein. Dennoch gelingt es seit Jahren nicht, die geschilderten Betreuungslücken zu schließen. Dies, obschon sowohl die Dienststelle als auch verschiedene Angehörige bzw. Familien bereits an betreuerischen und räumlichen Konzepten gearbeitet haben.  Dazu zählt auch der Entwurf eines Wohnkomplexes, der die geeigneten Betreuungsmöglichkeiten bietet sowie die Einschätzung des damit verbundenen Personalbedarfs. 

Vor diesem Hintergrund lauten meine Fragen:

  • Welches ist der Stand der Dinge, was die Bemühungen zum Ausbau der für mehrfach beeinträchtigte Personen über 21 Jahren geeigneten Betreuungsangebote betrifft?
  • Wie stehen in diesem Zusammenhang die Chancen für die möglichst baldige Verwirklichung eines oder mehrerer geeigneten Wohnkomplexe?

https://youtu.be/UuQrN5jLOVY

Antwort des Ministers:

In der Deutschsprachigen Gemeinschaft konnte man bisher, im Gegensatz zur Situation im Inland, auf ein sehr vielfältiges Wohnangebot für Menschen mit Beeinträchtigung zurückgreifen.

Denn anders als im Inland ist es uns gelungen, unterschiedliche Wohnangebote zu haben, die eine echte Alternative für die Familien sind.

Denn während Senioren mit Unterstützungsbedarf noch immer die Wahl zwischen dem Verbleib zuhause oder dem Einzug in ein Wohn- und Pflegezentrum haben, haben Menschen mit Beeinträchtigung zum Beispiel die Möglichkeit in einer Wohnressource oder in einer Wohngemeinschaft zu leben.

Dieses Angebot haben wir in der letzten Legislaturperiode versucht weiter auszubauen und noch vielfältiger zu gestalten.
So wurde das Wohnheim Lommersweiler um 5 Plätze erweitert.

Außerdem hatte die DSL den Weserstrand in der Eupener Unterstadt ins Leben gerufen, wo Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammenleben können und sollen.
Die Menschen ohne Beeinträchtigung konnten mietfrei wohnen und als Gegenzug Unterstützung für ihre beeinträchtigte Mitbewohner leisten.

In Ermangelung an Mietkandidaten ohne Beeinträchtigung wurde dieses Projekt bedauerlicherweise nicht weitergeführt.
Der Kurzaufenthalt bezog immerhin die Wohnräume in der Unterstadt.
In dieser Legislaturperiode machte sich allmählich eine gewisse Ermüdung bei den Wohnressourcen breit.
Bei einigen war diese altersbedingt, bei anderen kam sie aufgrund der zunehmendenKomplexität der Beeinträchtigung zustande.
Bedauerlicherweise hat die Corona-Krise wie ein Brandbeschleuniger gewirkt.
Der Ermüdungsprozess wurde beschleunigt. Das ist fatal.

Denn die Wohnressourcen waren lange Zeit das wichtigste Standbein und der Grund, wieso wir es bisher geschafft hatten, kleinere Wohnheime zu betreiben, die familiärer aufgebaut sind und besser zu unserer Region passen als riesige Einrichtungen wie im In- und Ausland.

Die Krise hat aber nun dazu geführt, dass beispielsweise Wohnressourcen weggebrochen sind, die wahrscheinlich noch einige Jahre von Bestand gewesen wären.
Darüber hinaus sehen wir uns in der Deutschsprachigen Gemeinschaft auch mit der Herausforderung konfrontiert, dass bestehende Träger ihre Angebotspalette nicht erweitern wollen und sich neue Träger nur schwer finden lassen.

Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen:
Für die Schaffung von Wohn- und Freizeitangeboten für Menschen mit einer Beeinträchtigung sind wir ähnlich wie in der Jugendhilfe oder im Seniorenbereich auf Träger angewiesen.
Es mangelt nicht an der Bereitschaft finanzielle Mittel zu gewähren.Ganz im Gegenteil!

Die Auslandsunterbringungen in spezialisierten Einrichtungen für einzelne Personen befinden sich preislich nicht selten im sechsstelligen Bereich.
Bisher hat die Regierung jede diese Mehrausgabe im Haushalt der DSL ohne Wenn und Aber genehmigt.

Für die Schaffung neuer Angebote bedarf aber der Initiative von Trägern.
Die Dienststelle hat in diesem Zusammenhang lange nach Trägern gesucht, weil es schlichtweg in der Tat mehr Nachfrage als Angebote gibt.
Da die Anfragen und Bedarfe der Menschen sehr unterschiedlich sind, ist es schwierig im Rahmen einer aktuellen Frage eine Zahl darauf zu setzen, die der Komplexität der Thematik gerecht wird.
Denn anders als bei Senioren gibt es Anfragen für regelmäßige Kurz- und Langzeitunterbringungen.
Es gibt Anfragen für Wohnressourcen, Wohngemeinschaften und Wohnheime oder spezialisierte Einrichtungen im Ausland.

Dabei spielen nicht nur die Wünsche der Personen und Familien eine Rolle, sondern auch die unterschiedlichen Profile an Beeinträchtigungen.
Auch das Alter ist oft entscheidend.
Viele Familien wünschen sich ein Wohnangebot für ihren Angehörigen, ohne sich aber genau festlegen zu wollen, wann die Person umziehen soll.
Sie sehen die Anfrage als eine Art frühzeitige Garantie, später nicht leer auszugehen.

In der Kürze der Zeit war es nicht möglich, detaillierte und verlässliche Zahlen zu bekommen. Ich würde daher empfehlen, dass der Ausschuss die DSL zu einer Anhörung zu diesem Thema einlädt.

Ich möchte noch erwähnen, dass in Ermangelung an Träger die DSL sogar vorgehabt hat, selbst als Träger aufzutreten.
Das wäre zumindest bei den Wohnangeboten Neuland, dass eine Aufsichtsbehörde gleichzeitig auch der Träger eines Angebots ist.

An sich eine ungesunde Situation.
Und zudem eine, die sogar erheblich komplex in Bezug auf die Anpassung des entsprechenden Statuts im öffentlichen Dienst war.
Aber aus der Not heraus habe ich, obschon ich nicht davon überzeugt war, mit der DSL an dieser Lösung gearbeitet.

Hierzu wurden Noten erstellt und juristische Untersuchungen waren voll im Gange.

Die Regierung hatte sogar eine Immobilie in Eupen gekauft und war dabei, einen Mietvertrag mit der DSL vorzubereiten, um dort ein erstes Wohnangebot unter der Trägerschaft der DSL zu ermöglichen.

Parallel haben wir aber die Gespräche mit den bestehenden und neuen Trägern immer wieder gesucht und Überzeugungsarbeit geleistet.
Inzwischen haben wir auch Erfolge erzielen können.
Erfolge, die einigen der betroffenen Familien, mit denen die DSL und auch ich in Kontakt stehen, bekannt sind.

Es lag mir aber fern, hierzu allzu breit öffentlich zu kommunizieren, bevor nicht belastbare Fakten vorliegen.
So hat die VoG Behindertenstätten Eupen, mit der wir aktuell einen neuen Standort für eine Tagesstätte am Eupener Werthplatz verwirklichen, sich bereit erklärt, die Trägerschaft mehrerer begleiteter Wohnangebote im Norden und Süden der DG zu übernehmen.

Ein erstes konkretes Projekt ist die von mir
eben erwähnte Immobilie, welche die DG für die DSL angekauft hat.
Die Immobilie ist ein ehemaliges Wohnhaus, das Platz für 5 Langzeiteinzüge und 2 Kurzaufenthalte bieten wird. Die Gesamtkosten für dieses Projekt, sprich für Kauf und Umbau, belaufen sich auf ca. 1,4 Millionen Euro.
Diese Kosten werden zu 100 % von der DG getragen, da wir selbst Bauherr sind.
Zielpublikum sind Menschen mit einer Beeinträchtigung mit einem mittleren bis erhöhten Unterstützungsbedarf, die aber dennoch über ein gewisses Maß an Autonomie verfügen.

Die Umbauarbeiten werden 2023 starten.

Wie ich schon sagte, ist die VoG aus Eupen bereit, auch die Trägerschaft von Wohnprojekten in der Eifel zu übernehmen.
Dort ist man auf der Suche nach geeigneten Objekten oder Standorten.
Zeitweise war ein Bauernhof im St.Vither Raum im Gespräch.
Die Idee wurde allerdings verworfen, weil weder der Träger noch die DSL über das entsprechende Knowhow verfügt, Landwirtschaft zu betreiben.

Zudem war die Erwartung des Betriebs, dass die Biozertifizierung fortgesetzt wird.
Sicher ein löbliches Unterfangen, aber eine Kragenweite zu groß für Einrichtungen aus dem Behindertenbereich.

Das ist bedauerlich und ich weiß, dass es einige Familien gibt, die sich Bauernhofprojekte wünschen, aber hierfür braucht man immer die entsprechenden Fachleute.
Das können nicht Erzieher, Pflegekräfte und Sozialarbeiter übernehmen. In diesem Fall hätten das Fachleute aus der Landwirtschaft sein müssen.

Ein weiteres Projekt, das der Öffentlichkeit zumindest als alternative Wohnform für Senioren bekannt sein sollte, ist das Wohnprojekt von Kathleos am Kelmiser Kirchplatz.
Öffentlich wahrgenommen wird dieses Projekt als Wohnangebot für Senioren in Form eines betreuten Wohnens.

Die Trägerschaft wird die VoG Kathleos übernehmen, die bereits zwei Wohn- und Pflegezentren, eins in Kelmis und eins in Astenet, betreibt.
Was viele nicht wissen, am Kirchplatz werden neben den Wohnungen für Senioren 14 Studios nur für Menschen mit Beeinträchtigung und 2 Zimmer für Kurzaufenthalte entstehen.
Das Projekt steht auf dem Infrastrukturplan 2023 und wird 15,7 Millionen Euro (!) kosten.
Das sind wohl gemerkt nur die Kosten für den Bau.

Hinzu werden jährlich wiederkehrende Kosten auf die DG für den Betrieb kommen.
Wenn ich noch mal zurück auf die Eifel kommen darf, mein Wunsch ist, dass die VoG Griesdeck, mit der wir den Neubau der Tagestätte Elsenborn an einem neuen Standort in Bütgenbach planen, am selben Standort auch ein Wohnprojekt aufbaut.
Hierzu bedarf es aber der Bereitschaft des Trägers.
Hierüber wollen wir mit dem Träger erneut das Gespräch suchen, nachdem die DSL in der jüngsten Vergangenheit – wie eben schon erwähnt – versucht hat, die bestehenden Träger im Sektor für einen Ausbau von Angeboten zu gewinnen.

Für all diese Projekte bedarf es aber nicht nur neuer Gebäude, sondern auch Menschen.
Menschen, die sich engagieren, im Bereich von Personen mit Unterstützungsbedarf arbeiten wollen und diese Projekte mit Leben füllen.
Menschen, die als Team je nach Bedarf 24 Stunden am Stück für ihre Mitmenschen mit einem Unterstützungsbedarf da sind.

Selbst wenn wir alle Gelder, die der DG zur Verfügung stehen, in diesem Bereich einsetzen würden, scheitert es nicht am politischen Willen, sondern auch an nicht vorhandenen Personalressourcen.