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Berufliche Orientierung

Plenum des PDG vom 23. Mai 2022


Redebeitrag Kirsten Neycken-Bartholemy
zur Regierungsmitteilung zur beruflichen Orientierung REK III „Auf das echte Leben vorbereiten“


Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Mitglieder der Regierung,

werte Kolleginnen und Kollegen,

 

 

es freut mich, dass ich mich bereits zum zweiten Mal in dieser Amtszeit zum Thema der beruflichen Orientierung äußern darf. Die Kollegen haben in der Vergangenheit bereits mehrfach die Wichtigkeit einer guten, effizienten und transparenten beruflichen Orientierung betont.

Dank der Autonomie haben wir die Möglichkeit, nicht zuletzt die berufliche Orientierung zu gestalten und auf die ostbelgischen Bedürfnisse zuzuschneiden.

Und weil informieren und orientieren immer eng einhergehen, erwarten die Bevölkerung und auch das Personal der beruflichen Orientierung eine transparente Herangehensweise, bei der sie regelmäßig über den Stand der Dinge und die anvisierte Entwicklung informiert werden. Denn nur so können auch sie für sich selbst gelassen in die Zukunft sehen und vielleicht sogar mitgestalten.

Ich möchte daher in diesem Rahmen erneut dazu aufrufen, das Personal und die Akteure der beruflichen Orientierung weiterhin bestmöglich eng in die Neuausrichtung einzubeziehen.

Sie schilderten, wie Sie die Akteure im Rahmen der sogenannten Denkfabrik einbezogen. Wir bitten Sie, dies intensiv fortzusetzen.

Nicht zuletzt die bisher gute Arbeit der derzeitigen Akteure sollte besondere Berücksichtigung und Anerkennung finden. Deren Erfahrung kann wesentlich zur Weiterentwicklung der beruflichen Orientierung in Ostbelgien beitragen und vor allem eine reibungslose, möglichst harmonische Umstrukturierung gewährleisten.

Und eingangs sollte auch bereits die Essenz meiner Stellungnahme hiermit zusammengefasst sein: „Die beste Art, auf das echte Leben vorzubereiten, besteht darin, jeden Schüler individuell entsprechend seiner Persönlichkeit zu unterstützen, zu stärken und zu fördern“.

Nun aber eingehender zur Regierungsmitteilung selbst:

Ich kann nur denen beipflichten, die eine frühe Berufswahlvorbereitung fordern. Und wir fordern, dass diese früher noch beginnt als laut der Regierungsmitteilung vorgesehen. Je früher Kinder sich mit der Frage auseinandersetzen, desto besser kann die berufliche Orientierung gelingen. Und auch aus pädagogischer Sicht ist es sicher nicht verkehrt, wenn Kinder schon über das Berufsleben bescheid wissen. Denn Kinder brauchen Konkretes. Kinder müssen nicht gesagt bekommen, dass Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften wichtig sind. Nein, sie müssen neben Spaß am Lernen auch den Nutzen des Lernens erkennen können. Dabei kann es helfen, ein Ziel vor Augen zu haben.

Bevor es jedoch möglich ist, mit den Kindern bereits ein Berufsziel festzulegen, kann man sie für die unterschiedlichsten Berufsfelder sensibilisieren. Insbesondere für jene gesellschaftsrelevante Berufsfelder, wo heute zu wenig Fachkräfte vorhanden sind, sollte ab dem Kindergarten sensibilisiert werden.

So stellen wir beispielsweise bei zahlreichen Handwerksberufen fest, dass diese mit großem Personalmangel konfrontiert sind. Keinesfalls ist dies auf die Natur des Menschen zurückzuführen. Doch schon sehr früh wird, oft zu Unrecht, den Kindern vermittelt, dass sie nur mit einem abgeschlossenen Studium in ihrem Leben erfolgreich sein können.

Hier muss dringend ein Mentalitätswechsel erfolgen. Neben den Kindern müssen dafür auch die Eltern und die Erwachsenen im Allgemeinen berücksichtigt werden.

Voraussetzung für eine Erhöhung der Anzahl Lehrlinge und Auszubildender ist jener Mentalitätswechsel. Denn viele Kinder und Jugendliche sind von Natur aus auch gerne handwerklich tätig. Sie sehen bei handwerklicher Tätigkeit schnell ein konkretes Resultat. Und dennoch kann es herausfordernd und durchaus interessant, abwechslungsreich und vielfältig sein. Doch wenn Kinder und Jugendliche sich für eine Ausbildung oder eine Lehre beispielsweise interessieren, müssen sie zukünftig darin gestärkt und gefördert werden. Nicht zu einem Studium drängen, sondern unsere Jugend das Angebot annehmen lassen, das ihnen am meisten liegt – So sollte die Zukunft der Berufsorientierung gestaltet sein. Die Basis einer jeden guten Ausbildung ist, dass sie zu den jeweiligen Teilnehmern passt, ihren Bedürfnissen und Wünschen, ihren Interessen, Fähigkeiten und Talenten entspricht. Das ist es, was die SP-Fraktion fordert!

Sie merken, es kommt nicht einzig und allein darauf an, die Schüler dahin zu orientieren, wo ein Bedarf aus wirtschaftlicher Sicht besteht. Die SP-Fraktion legt viel Wert darauf, dass Kinder breit gefächert informiert und sensibilisiert werden und dass die Jugendlichen in ihrem Interesse und auf Basis ihrer Persönlichkeit beraten werden. Denn hier geht es um das Wohl unserer Kinder und Jugendlichen.

Doch auch aus wirtschaftlicher und globalgesellschaftlicher Sicht ergibt dies durchaus Sinn. Denn nur wenn man seinen Interessen folgt, kann man in dem, was man lernt, auch richtig gut werden.

Die Neugestaltung der beruflichen Orientierung erfordert gut durchdachter und konzertierter Konzepte. Bei deren Ausarbeitung ist es wichtig, neben den Akteuren aus der Wirtschaft vor allem auch Vertreter der sozialen Berufe einzubeziehen: Psychologen und Sozialassistenten, die seit Jahren bereits berufliche Orientierung praktizieren.

Die Akteure einzubeziehen, ich wiederhole es gerne, ist dabei das Schlüsselelement. Denn eins ist sicher: Sie können mit ihrer Erfahrung und ihrer Expertise zur guten Umsetzung der Reform beitragen. Dies umso mehr, wenn man ihnen Informationen zukommen lässt und sie einbezieht.

Organisatorisch gesehen kann und sollte die Anzahl Akteure vor allem deshalb reduziert werden, um das Angebot übersichtlicher zu gestalten. Die vorhandene Expertise sollte bestmöglich eingesetzt werden. In diesem Sinne sollte es eine zentrale Anlaufstelle geben. Jeder Jugendliche, jedes Kind und jedes Elternteilt, das sich Fragen zur beruflichen Orientierung, zu möglichen Lehrgängen und Studiengängen und zur Realität der Arbeitswelt und der unterschiedlichen Berufsfelder stellt, sollte einen leichten Zugang zu Informationen erhalten. Dies nicht nur auf Anfrage und nach Recherche, sondern auch automatisiert und regelmäßig im Laufe des Lebens – insbesondere dann, wenn aufgrund des Alters wichtige Entscheidungen bevorstehen könnten. Dabei sollte sowohl der Kontext in Belgien als auch der im benachbarten Ausland berücksichtigt werden, damit niemand eine Chance verpasst. Ich bin mir sicher, dass es hier im Rahmen dessen, was bereits geschehen ist, Möglichkeiten gibt, noch weitere wichtige Fortschritte zu erzielen.

Um der komplexen Situation unserer Bevölkerung Rechnung zu tragen, muss alles gut durchdacht sein. Insbesondere wegen der soeben angeschnittenen Grenzsituation haben wir durch die Autonomie die Möglichkeit, einen reellen Mehrwert in Sachen beruflicher Orientierung zu schaffen.

Nicht zuletzt die Grenznähe zwingt uns schon beinahe dazu, öfter zu informieren als das anderswo gemacht wird, damit sich jeder zeitig in Belgien oder auch anderswo umorientieren kann.

Eine solche intensivere Begleitung der Kinder und Jugendlichen kann nur von Vorteil sein.

Uns als SP-Fraktion ist wichtig, dass wir in enger Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Akteuren den Beweis des Mehrwerts unserer Autonomie auch in diesem Dossier erbringen.

Hier können wir uns dann sicher auch von Regionen inspirieren lassen, mit denen die DG grundsätzlich enge Beziehungen pflegt. Wir können sogenannte best practice sammeln und auf Ostbelgien zuschneiden.

Die SP-Fraktion begrüßt den Ansatz der Ministerin, wenn sie erklärt, dass Jugendliche „Zeit, kreative Räume und eine vertrauensvolle Begleitung brauchen“.

Jedoch möchten wir bei diesem Teil der Erklärung daran erinnern, dass uns das Jugendlichenalter eigentlich schon zu spät erscheint. Kinder haben oft schon eine Idee, was sie gerne machen würden. Dem muss ebenso Rechnung getragen wer
den. Doch oft werden diese frühen Berufsvorstellungen als Kindheitsträume abgestempelt. Sie werden oft nicht ernstgenommen. Doch wenn wir mal drüber nachdenken: Was tut man nicht alles, wenn man die Möglichkeit bekommt, sich einen Kindheitstraum zu erfüllen? Es wäre so schön und auch motivierend für die Kinder, wenn man ihren Traum ernstnimmt und sie dabei unterstützt. Man könnte sie über die Realität ihres Traumberufs informieren, ihnen erklären, worauf es dabei besonders ankommt und mit ihnen auf pädagogischer Art und Weise schauen, inwiefern ihr Traum der Realität entspricht. Oder inwiefern das Profil ihres Traumberufs mit ihrem Persönlichkeitsprofil übereinstimmt. Im Ergebnis wird man sie in ihrer Vorstellung stärken können. Oder ihnen von anderen Berufen erzählen können, die sie noch gar nicht kannten und die sie doch so viel spannender finden. Anstatt sich frustriert und ohne Ziel von Jahr zu Jahr zu quälen, können sie ihren Traum leben. Oder ihre Vorstellung anpassen und neu anfangen, zu träumen. Egal ob es sich dabei um den Traum einer großen Karriere nach einem Studium oder aber um den Traum einer herausragenden handwerklichen Tätigkeit handelt.

Denn ein guter Handwerker ist wahrlich Gold wert!

Der SP-Fraktion ist das Fördern handwerklicher Berufe daher besonders wichtig.

Noch wichtiger ist ihr jedoch, dass der Charakter eines jeden berücksichtigt wird, damit sich jeder auf seiner Art in das gesellschaftliche Leben einbringen kann. Neben Theoretikern braucht man Macher, die in der Lage sind, gute Ideen umzusetzen. Man braucht Theoretiker, die denken, man braucht Handwerker, die umsetzen. Man braucht aber auch kreativ denkende Handwerker und Denker, die die Realität der Handwerker kennen. Dass darin jeder seinen Platz findet, das ist die Aufgabe der Berufsorientierung. Und das sollte in Zukunft mehr denn je das Ziel sein, worauf alle Akteure der Berufsorientierung Hand in Hand mit den Betroffenen und deren Eltern hinwirken.

 

Näher eingehen möchte ich nun dennoch auch auf jene Frage, die sich viele stellen: Was muss ich lernen, um später Arbeit zu finden?

Eins vorweg: Die Frage darf nicht pauschal mit einer Berufsbezeichnung beantwortet werden. In Zukunft mehr noch als heute.

Vielmehr sollten hier Kompetenzen genannt werden. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind die Eigenschaften, die heute und in Zukunft immer mehr ein Jeder in irgendeiner Weise an den Tag legen können muss. Flexibilität, um sich jeder neuen Situation anpassen zu können und die Herausforderungen dann zu meistern, wenn sie sich stellen. Anpassungsfähigkeit, weil man heute nicht weiß, was morgen von einem erwartet werden könnte. Und was in 5 oder 10 Jahren erwartet wird, kann man kaum erahnen. Sicher ist jedoch: Wer gewisse Fähigkeiten, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit mitbringt, der wird sich immer irgendwo gesellschaftlich und beruflich einbringen können. Besonders wichtig ist dabei neben den erwähnten Eigenschaften auch die Fähigkeit, zu lernen. Auch diese kann man nicht nur nutzen, sondern weiterentwickeln und ausbauen. Dann lernt man, abhängig von seinen Interessen immer wieder neues zu lernen, um sich flexibel den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Und somit begrüßen wir auch insbesondere die erste offizielle Feststellung der Ministerin: Dass das Schulpersonal aufgestockt werden muss, um die überfachlichen Kompetenzen in ein schulinternes Konzept einzubauen. Wichtig ist uns hier, dass das Problem angegangen wird.

Um das von Natur aus vorhandene Interesse aufrechtzuhalten und das Selbstbewusstsein zu stärken, muss man Fähigkeiten und Talente entdecken und fördern. Das ist der SP-Fraktion sehr wichtig!

Man darf des Weiteren nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, dass die berufliche Orientierung in den Schulen stattfindet. Um das Angebot möglichst breit aufzustellen, kann man, wie die Ministerin erklärte, auch auf „schulexterne Mittel und Angebote“ zurückgreifen. Jedoch sollte man dabei nie aus den Augen verlieren, dass die schulexternen Mittel und Angebote nicht von allen genutzt werden. Insbesondere Kinder und Jugendliche kann man aber nicht für das Nicht-in-Anspruch-nehmen solcher Mittel und Angebote verantwortlich machen.

Wir fordern deswegen, dass jeder im schulischen Rahmen bereits ein sehr gutes Basisangebot erhält. Nicht zuletzt der Rat der Deutschsprachigen Jugend erklärte, dass „der erste Schritt in Richtung Berufsleben ein großer ist, der viel Angst und Ungewissheit mit sich bringt.“ Wir reden hier lieber von einem Weg. Dennoch zeigt auch die Erklärung des RDJ, wie wichtig es ist, dass Schüler diesen Weg zum größten Teil in vertrautem Umfeld gemeinsam mit anderen gehen können.

Nächstes Stichwort: „Hospitationen und Praktika“: in unseren Augen unbedingt und zwar so viel wie möglich! Und auch hier gilt: eine gute verpflichtende Basis für jeden sollte von weiteren Hospitations- und Praktikumsangeboten ergänzt werden.

Denn berufliche Orientierung betrifft jeden. Berufliche Orientierung so wie wir sie verstehen. Und weil jeder Mensch unterschiedlich ist, kann und sollte man durchaus denen, die sich mit der Entscheidung schwerer tun, weitere Möglichkeiten und Mittel zur Verfügung stellen. Idealerweise sollte sich jeder nach Bedarf informieren und sich so gut es geht ein Bild des angestrebten Berufs machen können, ggf. durch das Sammeln eigener Erfahrungen.

In ähnlicher Weise freuen wir uns auch, dass im sogenannten Portfolio u.a. Studentenjobs als Instrument der Berufsorientierung angeführt werden. Damit dies der Realität entspricht muss sich jedoch die Realität vieler Jugendlicher ändern. In der Praxis bewerben sich Jugendliche zu oft aufgrund kurzsichtiger finanzieller Kriterien. Das ist aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar.

Und an dieser Stelle sollte man auch die Erwachsenen nicht vernachlässigen, die sich umorientieren oder orientieren müssen oder möchten. Ihnen sollte auch beispielsweise ermöglicht werden, in Berufe reinzuschnuppern, um anschließend wenn nötig Umschulungen in Anspruch zu nehmen.

Ein besonders positives Beispiel eines bestehenden Angebots auf freiwilliger Basis, das Jahr für Jahr gut beworben und von Jugendlichen gut in Anspruch genommen wird, möchte ich hier erwähnen: die seit einigen Jahren bestehenden Schnupperwochen.

Warum nicht auch über ein ähnliches Konzept nachdenken, das Erwachsenen zugänglich gemacht wird? Vielleicht ist das künftig mit dem ADG möglich.

In Fragen der Zusammenarbeit zwischen den Schulen und den Wirtschaftsakteuren mahnen wir jedoch grundsätzlich als Sozialdemokraten und Sozialisten zur Vorsicht. Wir sprechen uns keineswegs dagegen aus. Wichtig ist uns nur, dass immer das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen und deren berufliche Zukunft im Vordergrund stehen. Das Wohl unserer Kinder ist in unseren Augen wichtiger als die Interessen einzelner Unternehmen. Gut umrahmt kann eine solche Zusammenarbeit aber durchaus interessant sein.

Werte Damen und Herren,

nicht die Erwartung der Arbeitgeber, sondern die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder ist in unseren Augen ausschlaggebend. Es sollte nicht das Kind sein, das seine Träume an die Realität des Arbeitsmarkts anpasst. Vielmehr sollte das Kind basierend auf seine Persönlichkeit in die Gesellschaft integriert werden.

Im Großen und Ganzen zeigt sich, die Regierung teilt unsere Ansichten oder berücksichtigt diese zumindest. Obschon für uns das Thema mit der vorliegenden Erklärung noch lange nicht abschließend geklärt ist. Wie gedenkt die Regierung, die Erklärung in die Praxis umzusetzen? Zu welchen Zeitpunkten im Leben eines Menschen soll proaktiv im Bereich der beruflichen Orientierung gehandelt werden? Wie will die Regierung besonders die handwerklichen Berufe stärker fördern? Ab wann soll die berufliche Orientierung strukturiert beginnen? Und wer soll ganz konkret welche Rolle darin übernehmen. Wir erwarten mit Spannung die Ergebnisse und sind zuversichtlich, dass auch f
ür das bestehende Personal gute Lösungen im Rahmen der Umstrukturierung gefunden werden.

 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Kirsten Neycken-Bartholemy

https://youtu.be/_r5gFxyucEA